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Am Nachmittag kommen wir in Kehl am Rhein an. Hier werden wir abgeladen. Über eine Brücke geht es über den Rhein nach Straßburg. Auch hier stehen Leute und verteilen Wasser. Ich trinke Wasser aus einem Kanister. Es schmeckt nach Benzin und ist nicht genießbar. Dann kommen wir an einem Güterbahnhof an. Hier erhalten wir eine Marschverpflegung, eine kleine Wehrmachtsdose, gefüllt mit einem scharfen, ungarischen Gulasch. Für uns steht ein Güterzug bereit. Es sind offene Waggons, in die wir geladen werden. Mit vielen Kameraden sitze ich in einem dieser Eisenbahn-Wagen mit halb hohen Seitenwänden, auf denen vorher Steinkohle befördert wurde. Der Boden ist einige Zentimeter hoch mit Kohlenstaub bedeckt. Wir sitzen angenehm weich in diesem Dreck.
Der Zug setzt sich in Bewegung und die Fahrt geht westwärts durch das Elsass hinein nach Frankreich. Die Nacht verbringen wir schlafend im Sitzen. Der Tag ist sehr heiß. Die Sonne heizt unsere Körper unbarmherzig auf. Und wieder gibt es nichts zu trinken. Neben mir sitzt einer in einer schwarzen Panzer-Uniform. Er hat kurzes, blondes Haar. In seiner schwarzen Uniform mit seinem vollen, runden Gesicht, das von der kraftvollen Sonne rot gefärbt ist, fällt er mir besonders auf. Sein Kopf ist über ein kleines Buch mit rotem Einschlag gebeugt, in dem er ständig liest. Es ist ein Wörterbuch. Er lernt Französisch. Die Läuse plagen ihn. Eine Laus dringt aus dem Kragen seiner Jacke und ist im Nacken sichtbar. Von ihm lerne ich das erste französische Wort. Es heißt „merci“, danke. Im Laufe des Tages kommen noch einige hinzu.
Wir stehen auf einem Bahnhof, der Zug wird hin und her rangiert. Am Bahnhof wird nur noch französisch gesprochen, ich verstehe kein Wort. Unser Zug wird hier abgestellt. An einer Hauswand auf dem Bahnhof ist groß in deutscher Schrift geschrieben: „Deutsche Soldaten der Wehrmacht bleiben 15 Jahre in Gefangenschaft. Die SS muss 25 Jahre hier bleiben.“ Oh je, denke ich, 15 Jahre ist eine sehr lange Zeit. Jetzt bin ich 18. In 15 Jahren, bis ich nach Hause komme, bin ich ja schon 33 Jahre alt. Mann, ist das eine lange Zeit! Einige Landser sprechen von Flucht.
Bei Einbruch der Nacht setzt sich unser Zug wieder in Bewegung. Die Fahrt geht weiter. Ich schlafe ein. Kalt wird es mir nicht. Wir sitzen hier Mann an Mann auf dem Kohlenstaub, ganz dicht gedrängt. Irgendwann werde ich wach und döse mit geschlossenen Augen vor mich hin. Unser Zug steht wieder auf einem Bahnhof. Plötzlich fällt ein Schuss, dann noch einige. Der ganze Waggon ist wach und wir sind voller Spannung. Was ist los? Wir dürfen uns nicht hinstellen, würden aber doch gerne wissen, was da draußen los ist. Auf dem Bahnsteig herrscht große Aufregung. Französische Soldaten rennen an unserem Güterwagen vorbei. Wir erfahren nicht, was geschehen ist. Erst Wochen später höre ich von einem Reichsarbeitsdienstmann, dass aus ihrem Wagen einer flüchten wollte. Es soll ein SS-Mann in Zivilkleidung gewesen sein, der aus dem Elsass stammt und einfach nach Hause wollte. Was mit ihm geschehen ist, weiß ich nicht.
Unser Zug fährt wieder. Wir haben den Morgen des 12. Mai 1945. Auf einem Bahnhof bewegt sich der Zug langsam unter einer Wasserversorgungs- Anlage für Lokomotiven hindurch. Das Wasser der geöffneten Anlage fließt in den Waggon über die Körper derer, die in der Mitte der Wagen sitzen. Sie erhalten eine angenehme Abkühlung. Gegen Mittag kommen wir in Paris an.
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