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Weit über 11.000.000 deutsche Soldaten der Wehrmacht, der Waffen-SS und halbmilitärischer Organisationen befanden sich 1945, am Ende des Zweiten Weltkrieges, als Kriegsgefangene im Gewahrsam der alliierten Siegermächte.
Davon wurden allein in der damaligen UdSSR weit über 3.060.000 deutsche Soldaten als Kriegsgefangene festgehalten. Von diesen Kriegsgefangenen Soldaten sind in der russischer Kriegsgefangenschaft fast 1.100.000 Kriegsgefangene verstorben. In anderen Osteuropäischen Staaten befanden sich ca. 290.000 deutsche Soldaten, von denen über 93.000 Kriegsgefangene in der Gefangenschaft verstorben sind.
In britischer Kriegsgefangenschaft waren 3.635.000 deutsche Soldaten. Diese waren in Lagern in England, Kanada, Italien, Deutschland, Madagaskar und Malta untergebracht. In amerikanischer Kriegsgefangenschaft befanden sich damals über 3.095.000 deutsche Soldaten. Sie waren in den USA, in Deutschland, den Beneluxländern und in Frankreich in Lagern gefangen. Davon gaben die USA ca. 50.000 deutsche Kriegsgefangene an Belgien, die Niederlande und an Luxemburg ab. Auf der Moskauer Konferenz, im April 1947, einigten sich die Teilnehmer darauf, bis zum 31. Dezember 1948 alle deutschen Kriegsgefangenen entlassen zu haben. Doch, die letzten deutschen Kriegsgefangenen aus der UdSSR wurden erst 1956 in ihre Heimat entlassen.
Bei den Westmächten, einschließlich der USA, lag die Todesrate der Kriegsgefangenen bei über 31.900 deutschen Soldaten. Bedingt durch die schlechte Versorgungslage der Kriegsgefangene in Frankreich, in den ersten Nachkriegsjahren, gab es hier die weitaus größte Zahl von fast 24.180 verstorbenen Kriegsgefangenen. Gefolgt von den USA mit über 5.800 Soldaten, die hauptsächlich 1945 in den überfüllten Wiesenlagern in Deutschland und Frankreich starben.
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Französische Kriegsgefangene: |
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Über 1.065.000 deutsche Soldaten hatte Frankreich als Kriegsgefangene. Davon wurden ca. 300.000 Soldaten von der französischen Armee gefangengenommen. 240.000 in Frankreich und Deutschland und ca. 60.000 davon in Nordafrika.
Von Großbritannien wurden 25.000 deutsche Soldaten, als Kriegsgefangene, an Frankreich abgetreten.
Frankreich hat von den USA ca. 740.000 Kriegsgefangene übernommen. Die USA hatten 1945 große Probleme mit der Versorgung und Unterbringung ihrer Kriegsgefangenen und waren froh, ihre Kriegsgefangenen los zu werden. Frankreich verlangte jedoch von den Alliierten noch mehr Kriegsgefangene, die als billige Arbeitskräfte zum Wiederaufbau in Frankreich eingesetzt werden sollten. In einer Übereinkunft vom Dezember 1944 wurden Frankreich 1.750.000 Kriegsgefangene zugesprochen. Da aber Frankreich nicht in der Lage war, diese zu versorgen, stoppte die US-Arme im Herbst 1945 die Überführung weiterer Kriegsgefangener an Frankreich.
Eine besonders hohe Rate an Kranken, Arbeitsunfähigen und Todesfällen unter den Kriegsgefangenen, gab es wegen der sehr schlechten Versorgungslage in den französischen Kriegsgefangenenlagern, in den Jahren 1945 und 1946. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es in diesen Jahren auch in Frankreich an allem möglichen fehlte, und die Franzosen selbst in einer miserablen Versorgungslage waren, ist es unangemessen zu behaupten, die schlechte Versorgung der Kriegsgefangenen sei alleine auf Rache und Hass an den Deutschen zurückzuführen.
An dieser Stelle möchte ich jedoch bemerken, dass zumindest kurz nach Kriegsende eine gewisse Berechnung, zumindest in dem Lager, in dem ich untergebracht war, eine Rolle spielte. Unsere Versorgungslage war in dieser Zeit besonders schlecht. Alle litten wir an Mangelernährung. Unsere Gedanken bewegten sich nur noch um Essen. Bei fast allen Kriegsgefangenen waren die körpereigenen Reserven aufgebraucht. Wir waren total abgemagert! Dann, nach Wochen, waren wir reif. Jetzt kam die Fremdenlegion. Französische Offiziere und ehemalige deutsche Soldaten, jetzt in der Legion, warben für die Fremdenlegion. Eine gewisse Zeit lang kamen sie täglich in unser Kriegsgefangenenlager und machten uns weich. Diese Legionäre, in ihrer Ausgangsuniform, sahen flott aus. Sie sprachen von einer langen Kriegsgefangenschaft, die wir durchzustehen hätten. Sie erzählten uns von Freiheit, guter Verpflegung, Frauen usw. Die Versuchung war groß, man wollte dem Hunger entgehen! Unter uns Kriegsgefangenen entstanden heftige Diskussionen über das Für und Wider der Legion. Täglich meldeten sich mehr zur Legion. Auf Angehörige der Waffen-SS waren sie besonders scharf. Wir, in unserer Gemeinschaft, hatten beschlossen, auf jeden Fall durchzuhalten und uns nicht zu melden. Nach dieser Werbeaktion hatte sich unser Lager um gut ein Drittel gelichtet. Als diese Aktion abgeschlossen war, wurde die Verpflegung etwas besser und wir kamen auf Arbeitskommandos. In meinem Buch, „Einer von denen war ich“, berichte ich ausführlich über diese Zeit.
Zu allen möglichen Arbeiten wurden wir jetzt eingeteilt. Es gab Einzelkommandos in Handwerksbetrieben und bei Bauern. Denen ging es zumeist gut. Sie waren ziemlich frei. Der weitaus größte Teil wurde zum Minensuchen, bei Präfekturen, in Fabriken oder Militärkommandos, usw. eingesetzt. Sehr viele wurden in den französischen Bergwerken zur Arbeit gezwungen. Vielen machte 1945 und 1946 die Unterernährung noch zu schaffen. Auch unsere Bekleidungslage war schlecht, es fehlte an allem. Wir trugen die ersten zwei Jahre immer die gleichen alten Uniformteile, die von uns immer wieder notdürftig zusammengeflickt wurden. Die Unterwäsche war verschlissen, das Schuhwerk war verbraucht. Oft wurde es notdürftig mit Draht zusammengehalten. Gab es Ersatz, waren das zumeist dünne Segeltuchschuhe mit einer geflochtenen Strohsohle, die auch bei der schweren Arbeit in Bergwert getragen wurden. Manche Kriegsgefangene hatten auch Holzschuhe. Auf der Oberbekleidung und dem Hemd, war ein großes, weißes “PG” (Prisonnier de Guerre) aufgemalt, das uns als Kriegsgefangene zu erkennen gab. Mitte 1945 durfte jeder Kriegsgefangene eine vorgedruckte Karte an seine Angehörigen senden, die aber erst nach Monaten in der Heimat ankam. Pakete aus Deutschland waren ab Ende 1945 erlaubt. - Aber, in Deutschland hatten die meisten selbst mit sich zu kämpfen. Erst 1947 wurde die Versorgungslage für uns Kriegsgefangene in Frankreich besser.
Die Unterbringung in der französischen Kriegsgefangenschaft war unterschiedlich. Anfangs lagen wir im Freien auf Wiesen. Mein erstes Gefangenenlager befand sich in Lindau am Bodensee auf der Insel, auf dem Gelände vom Bootshaus. Hier lagen tausende Landser Mann an Mann im freien Gelände, der kraftvollen Maisonne ausgesetzt. Auf dem ganzen Gelände gab nur eine Wasserstelle. Stundenlang stand man hier in einer langen Schlange an, um eine handvoll Wasser zu erhaschen. Zu Essen gab es nichts! Viele haben Gras, Wurzeln und Baumrinde zu sich genommen, nur um das ständige Hungergefühl zu vertreiben.
In Frankreich wurden wir Kriegsgefangene in alten Festungen, in Kasernen, in Hallen, in Kasematten, Zelten, in Holz- oder Wellblechbaracken untergebracht. Die medizinische Versorgung war schlecht, Verbandsmaterial war knapp. Medikamente gab es 1945 in meinem Kriegsgefangenenlager in Paris nicht. Vereinzelt kam es auch zu Misshandlungen.
Eine gesundheitliche Betreuung oder Freizeitgestaltungen, wie in den USA oder bei den Briten, war bei uns sehr selten. Besonders 1945 waren in Frankreich viele Kriegsgefangene erkrankt. Die häufigsten Erkrankungen waren hier Unterernährung, Durchfallerkrankungen, Kräfteverfall, Lungenentzündungen, Ekzeme und Furunkel. Ich selbst war 1945 an Typhus erkrankt, und einige Tage ohne Bewusstsein.
Die Zahl der Fluchtversuche war in Frankreich sehr hoch. Über 171.000 Kriegsgefangene versuchten in Frankreich zu fliehen. Weit über 89.000 wurden auf der Flucht wieder eingefangen oder auch von anderen Mächten, wie der Schweiz und Belgien, an Frankreich ausgeliefert. Ich hatte es auf meinem letzten Fluchtversuch bis nach Gent in Belgien geschafft, befand mich schon in einem geschlossenen Güterwagen, der mich nach Aachen bringen sollte. Ich wurde jedoch wieder eingefangen und zurück nach Frankreich gebracht. Wurden Kriegsgefangene auf der Flucht in Deutschland in der französischen Zone ergriffen, kamen auch sie zurück nach Frankreich. Nur von Spanien wurden geflüchtete Kriegsgefangene zurück nach Deutschland gebracht.
Fluchtversuche von Kriegsgefangenen wurden in Frankreich mit 30 Tagen Arrest bestraft und man bekam den Kopf geschoren. Machte ein Kriegsgefangener einen zweiten oder gar dritten Fluchtversuch, wurde er zu einer Dunkelhaftstrafe von bis zu 30 Tagen verurteilt. Hatte der Gefangene zur Vorbereitung oder auf der Flucht einen Diebstahl begangen, der aufgedeckt wurde, brachte es dem Gefangenen eine zusätzliche Bestrafung ein. Einige, mit schweren Vergehen, wurden auch aus der Rückführungsliste gestrichen.
Das Schicksal der Bestrafung hat mich einige mal ereilt. Nach meinem zweiten Fluchtversuch war ich allein, ohne Licht, ohne Verurteilung, für acht Tage in einer großen, dunklen Kasematte, in einer Festung in Paris eingesperrt. Danach wurde ich zu 30 Tagen Arrest verurteilt und meine Haare wurden mir von Kopf geschoren. Nach dem letzten Fluchtversuch, im Januar 1948, wurde ich zu einer Dunkelhaftstrafe von zwei Wochen, ohne Licht, in einem nachtschwarzen Raum eingesperrt. Zusätzlich bekam ich ebenfalls eine Glatze geschoren, was zur damaligen Zeit in Frankreich eine echte Strafe war. - In meinem Buch, „Einer von denen war ich“, habe ich ausführlich darüber berichtet.
Bereits 1945 wurde in Frankreich mit der Rückführung begonnen. Über 25.000 Jugendliche, alte Männer, Wehrmachtshelferinnen und Zivilpersonen, die in Kriegsgefangenschaft geraten waren, wurden 1945 zurückgeführt. 1946 erfolgte die Entlassung von knapp 150.000 Kriegsgefangenen, 1947 waren es über 199.000 Heimkehrer. Die restlichen Kriegsgefangene wurden bis Dezember 1948 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Außer Soldaten der Waffen-SS und Personen, die als Kriegsverbrecher erklärt wurden, waren bis zum 15. Dezember 1948 alle deutschen Soldaten entlassen. - Auch ich, wurde als Jugendlicher, (ich hatte mich um ein Jahr jünger gemacht) am 17. Dezember 1945 zur Entlassung ins Depot zurück gebracht. Durch eine unbedachte Äußerung von mir, wurde ich jedoch wieder von der Entlassungsliste gestrichen. Ich kam dann erst am 31. Oktober 1948 in der Heimat an.
Die Rückführung der deutschen Kriegsgefangenen in die Heimat richtete sich nach verschiedenen Kriterien. Soldaten der Wehrmacht und anderen Organisationen waren in Frankreich in 16 verschiedene Kategorien eingeteilt, die nach dem Alter und der Nützlichkeit der Kriegsgefangenen als Arbeitskräfte aufgeteilt waren. Junge Soldaten der Jahrgänge 1925, 1926 und 1927 bildeten die letzte Kategorie. Die Rückführungstransporte waren in die verschiedenen Besatzungszonen aufgeteilt. Sie erfolgten über das Lager in Tuttlingen für die südliche französische und amerikanische Besatzungszone. Über das Lager in Bretzenheim erfolgte die Entlassung in die englische und nördliche französische Zone. Die Entlassung der Kriegsgefangenen in die russische Zone wurde über das Lager Bebra-Gerstungen abgewickelt.
Meine Entlassung, aus der französischen Kriegsgefangenschaft, erfolgte im Entlassungslager Malmsheim, ein Nebenlager des Kriegsgefangenenlagers Tuttlingen. Hier wurden wir am Morgen des 31. Oktober 1948 aus der Gefangenschaft entlassen. Das ging ziemlich schnell. Zuerst werden wir einem Arzt vorgestellt. Der schaut mir kurz in meinen Rachen und stellt bei mir Struma fest. Wir durchlaufen noch einige Stellen, unterschreiben eine Verzichts- Erklärung und erhalten vierzig DM, eine Starthilfe, die nach der Währungsreform in Westdeutschland jeder erhalten hat. Zum Schluss erhalten wir unseren Entlassungsschein. Nun sind wir frei !!! Ja, als freier Mann verlasse ich jetzt das Lager.
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Im Güterzug nach Frankreich Am Nachmittag kommen wir in Kehl am Rhein an. Hier werden wir abgeladen. Über eine Brücke geht es über den Rhein nach Straßburg. Auch hier stehen Leute und verteilen Wasser. Ich trinke Wasser aus einem Kanister. Es schmeckt nach Benzin und ist nicht genießbar. Dann kommen wir an einem Güterbahnhof an. Hier erhalten wir eine Marschverpflegung, eine kleine Wehrmachtsdose, gefüllt mit einem scharfen, ungarischen Gulasch. Für uns steht ein Güterzug bereit. Es sind offene Waggons, in die wir geladen werden. Mit vielen Kameraden sitze ich in einem dieser Eisenbahn-Wagen mit halb hohen Seitenwänden, auf denen vorher Steinkohle befördert wurde. Der Boden ist einige Zentimeter hoch mit Kohlenstaub bedeckt. Wir sitzen angenehm weich in diesem Dreck.
Der Zug setzt sich in Bewegung und die Fahrt geht westwärts durch das Elsass hinein nach Frankreich. Die Nacht verbringen wir schlafend im Sitzen. Der Tag ist sehr heiß. Die Sonne heizt unsere Körper unbarmherzig auf. Und wieder gibt es nichts zu trinken. Neben mir sitzt einer in einer schwarzen Panzer-Uniform. Er hat kurzes, blondes Haar. In seiner schwarzen Uniform mit seinem vollen, runden Gesicht, das von der kraftvollen Sonne rot gefärbt ist, fällt er mir besonders auf. Sein Kopf ist über ein kleines Buch mit rotem Einschlag gebeugt, in dem er ständig liest. Es ist ein Wörterbuch. Er lernt Französisch. Die Läuse plagen ihn. Eine Laus dringt aus dem Kragen seiner Jacke und ist im Nacken sichtbar. Von ihm lerne ich das erste französische Wort. Es heißt „merci“, danke. Im Laufe des Tages kommen noch einige hinzu.
Wir stehen auf einem Bahnhof, der Zug wird hin und her rangiert. Am Bahnhof wird nur noch französisch gesprochen, ich verstehe kein Wort. Unser Zug wird hier abgestellt. An einer Hauswand auf dem Bahnhof ist groß in deutscher Schrift geschrieben: „Deutsche Soldaten der Wehrmacht bleiben 15 Jahre in Gefangenschaft. Die SS muss 25 Jahre hier bleiben.“ Oh je, denke ich, 15 Jahre ist eine sehr lange Zeit. Jetzt bin ich 18. In 15 Jahren, bis ich nach Hause komme, bin ich ja schon 33 Jahre alt. Mann, ist das eine lange Zeit! Einige Landser sprechen von Flucht.
Bei Einbruch der Nacht setzt sich unser Zug wieder in Bewegung. Die Fahrt geht weiter. Ich schlafe ein. Kalt wird es mir nicht. Wir sitzen hier Mann an Mann auf dem Kohlenstaub, ganz dicht gedrängt. Irgendwann werde ich wach und döse mit geschlossenen Augen vor mich hin. Unser Zug steht wieder auf einem Bahnhof. Plötzlich fällt ein Schuss, dann noch einige. Der ganze Waggon ist wach und wir sind voller Spannung. Was ist los? Wir dürfen uns nicht hinstellen, würden aber doch gerne wissen, was da draußen los ist. Auf dem Bahnsteig herrscht große Aufregung. Französische Soldaten rennen an unserem Güterwagen vorbei. Wir erfahren nicht, was geschehen ist. Erst Wochen später höre ich von einem Reichsarbeitsdienstmann, dass aus ihrem Wagen einer flüchten wollte. Es soll ein SS-Mann in Zivilkleidung gewesen sein, der aus dem Elsass stammt und einfach nach Hause wollte. Was mit ihm geschehen ist, weiß ich nicht.
Unser Zug fährt wieder. Wir haben den Morgen des 12. Mai 1945. Auf einem Bahnhof bewegt sich der Zug langsam unter einer Wasserversorgungs- Anlage für Lokomotiven hindurch. Das Wasser der geöffneten Anlage fließt in den Waggon über die Körper derer, die in der Mitte der Wagen sitzen. Sie erhalten eine angenehme Abkühlung. Gegen Mittag kommen wir in Paris an.
Depot 222 – Fort de Noisy-Le-Sec
Kein guter Empfang in Paris Auf einem großen Bahnhof, der zu Noisy-Le-Sec gehört, verlassen wir unseren Zug. In Zehnerreihe müssen wir uns aufstellen. Ich habe kein gutes Gefühl und verkrieche mich in die Mitte einer Reihe. Eine lange Kolonne setzt sich in Bewegung, bewacht von französischen Soldaten.
Es ist ein schöner warmer Maitag. Nachdem wir den Bahnhof, es ist der Güterbahnhof, verlassen haben, kommen wir auf eine große, breite Straße. Sie ist schnurgerade, wie mit einem Lineal gezogen, und fällt leicht ab, rechts und links bebaut mit großen Häusern. Teilweise sind die breiten Bürgersteige mit Bäumen bepflanzt, die in jungem, saftigem Grün stehen. Eigentlich schön anzusehen. Auf den Bürgersteigen stehen die Menschen in Massen. Einige Männer haben Stöcke in ihrer Hand, drängen auf die Straße und versuchen auf uns einzuschlagen. Einzelne werden getroffen. Die Menge wird jedoch von unseren Bewachern abgedrängt. Andere stehen auf dem Bürgersteig, schlagen ihre flache Hand auf den Oberschenkel, drehen diese um, halten sie vor das Geschlechtsteil und machen eine Bewegung, als würden sie Wasser lassen. Dabei rufen sie die Wörter „Chall Bosch“ (so klingt es jedenfalls), es ist eine Beschimpfung für uns Deutsche. Auch einige Frauen zeigen sich so. Andere, hauptsächlich Frauen, stehen da und machen einen mitleidigen, bedrückten Eindruck.
Wir sind schon eine ganze Strecke auf dieser Straße unterwegs. Rechts, am Rand des Bürgersteigs, ist ein Hydrant in die Erde eingelassen. Beide Anschlüsse sind geöffnet. Frisches Wasser strömt in Massen heraus und fließt am Straßenrand ab. Daneben stehen einige Franzosen mit einem Knüppel in der Hand und verheißen demjenigen nichts Gutes, der es wagen sollte, sich dem fließenden Wasser zu nähern. Trotz dieser Gefahr gibt es einige, die aus unseren Reihen ausbrechen und, vom Durst getrieben, in den Wahnsinn verfallen, sich etwas von dem kühlen Nass einzuverleiben. Ihnen geht es schlecht. Die Franzosen am Hydrant schlagen auf diese armen Landser ein, die sich ducken, die heftigen Schläge abwehren und schnell in unsere Kolonne zurücklaufen.
Nun haben wir das Ende der Straße erreicht, biegen nach links ab und kommen auf freies Gelände. Vor uns sehen wir die gemauerte Sandsteinwand einer Festungsanlage. Auf einer schmalen Straße gelangen wir durch ein Tor in einen gewölbeartigen Durchgang von etlichen Metern Länge. Die Spitze der Kolonne biegt noch einmal links ab und wir stehen in einem großen Innenhof. Wir befinden uns in der Festung „Noisy-Le-Sec“. Rechts steht ein langgestreckter Sandsteinbau mit hohen Fenstern. Links vor uns, auf einer gefassten Anhöhe, ein hoher Drahtverhau. Dahinter, auf einigen Wäscheleinen aufgehängt, gewaschene Frauenunterwäsche und Uniformteile vieler Frauen. Es sind Wehrmachtshelferinnen, die hier gefangen sind. Einige Landser freuen sich und machen anzügliche Bemerkungen. Jedoch von den Frauen selbst keine Spur.
So stehen wir einige Zeit in diesem Hof. Nun werden wir in große Gruppen aufgeteilt und von dem deutschen Stammpersonal in große Unterkunftsräume geführt. Der Fußboden ist mit Stroh bedeckt. Nur einige schmale Gänge sind frei. Es ist altes, eingedrücktes Stroh, auf dem schon viele gelegen haben. Es riecht muffig und ist in kleine Stücke zerbrochen.
Durst plagt mich! Mein Körper ist völlig ausgetrocknet, ich habe seit Tagen nichts getrunken. Die Lippen sind geschwollen und aufgesprungen. Die Zunge fühlt sich taub an, Mund und Kehle sind trocken. Ich begebe mich auf die Suche nach Wasser und gelange in einen Hinterhof. Mir gegenüber sehe ich Türen und Fenster in ein dickes Mauerwerk eingelassen. Es ist die etliche Meter tiefe Wehrmauer der Festung. In dieser sind Waschräume und Toiletten untergebracht. Es sind schon einige Männer hier, die auch Wasser suchen. Aber es gibt keins. Die Wasserleitung ist abgestellt. Die Landser schimpfen und fluchen. Im Hof, an das Mauerwerk der Rückwand des Hauptgebäudes angelehnt, sehe ich ein großes, betoniertes Becken. Es ist ein Wasserbecken zum Feuerschutz. Oben am Beckenrand steht einer von uns ganz entblößt. Mit einem Kopfsprung springt er in das mit Wasser gefüllte Löschbecken. Wasser! denke ich und gehe sofort dorthin, doch das Wasser im Becken ist alt und grün. Es eignet sich nicht zum Trinken. Egal, ich nehme trotzdem eine handvoll aus dem Becken, benetze Lippen und Mund, und spucke es wieder aus. Es war der größte Fehler in meinem bisherigen Leben, wie sich bald herausstellen wird.
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