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Depot 222 – Fort de Noisy-Le-Sec
Kein guter Empfang in Paris Auf einem großen Bahnhof, der zu Noisy-Le-Sec gehört, verlassen wir unseren Zug. In Zehnerreihe müssen wir uns aufstellen. Ich habe kein gutes Gefühl und verkrieche mich in die Mitte einer Reihe. Eine lange Kolonne setzt sich in Bewegung, bewacht von französischen Soldaten.
Es ist ein schöner warmer Maitag. Nachdem wir den Bahnhof, es ist der Güterbahnhof, verlassen haben, kommen wir auf eine große, breite Straße. Sie ist schnurgerade, wie mit einem Lineal gezogen, und fällt leicht ab, rechts und links bebaut mit großen Häusern. Teilweise sind die breiten Bürgersteige mit Bäumen bepflanzt, die in jungem, saftigem Grün stehen. Eigentlich schön anzusehen. Auf den Bürgersteigen stehen die Menschen in Massen. Einige Männer haben Stöcke in ihrer Hand, drängen auf die Straße und versuchen auf uns einzuschlagen. Einzelne werden getroffen. Die Menge wird jedoch von unseren Bewachern abgedrängt. Andere stehen auf dem Bürgersteig, schlagen ihre flache Hand auf den Oberschenkel, drehen diese um, halten sie vor das Geschlechtsteil und machen eine Bewegung, als würden sie Wasser lassen. Dabei rufen sie die Wörter „Chall Bosch“ (so klingt es jedenfalls), es ist eine Beschimpfung für uns Deutsche. Auch einige Frauen zeigen sich so. Andere, hauptsächlich Frauen, stehen da und machen einen mitleidigen, bedrückten Eindruck.
Wir sind schon eine ganze Strecke auf dieser Straße unterwegs. Rechts, am Rand des Bürgersteigs, ist ein Hydrant in die Erde eingelassen. Beide Anschlüsse sind geöffnet. Frisches Wasser strömt in Massen heraus und fließt am Straßenrand ab. Daneben stehen einige Franzosen mit einem Knüppel in der Hand und verheißen demjenigen nichts Gutes, der es wagen sollte, sich dem fließenden Wasser zu nähern. Trotz dieser Gefahr gibt es einige, die aus unseren Reihen ausbrechen und, vom Durst getrieben, in den Wahnsinn verfallen, sich etwas von dem kühlen Nass einzuverleiben. Ihnen geht es schlecht. Die Franzosen am Hydrant schlagen auf diese armen Landser ein, die sich ducken, die heftigen Schläge abwehren und schnell in unsere Kolonne zurücklaufen.
Nun haben wir das Ende der Straße erreicht, biegen nach links ab und kommen auf freies Gelände. Vor uns sehen wir die gemauerte Sandsteinwand einer Festungsanlage. Auf einer schmalen Straße gelangen wir durch ein Tor in einen gewölbeartigen Durchgang von etlichen Metern Länge. Die Spitze der Kolonne biegt noch einmal links ab und wir stehen in einem großen Innenhof. Wir befinden uns in der Festung „Noisy-Le-Sec“. Rechts steht ein langgestreckter Sandsteinbau mit hohen Fenstern. Links vor uns, auf einer gefassten Anhöhe, ein hoher Drahtverhau. Dahinter, auf einigen Wäscheleinen aufgehängt, gewaschene Frauenunterwäsche und Uniformteile vieler Frauen. Es sind Wehrmachtshelferinnen, die hier gefangen sind. Einige Landser freuen sich und machen anzügliche Bemerkungen. Jedoch von den Frauen selbst keine Spur.
So stehen wir einige Zeit in diesem Hof. Nun werden wir in große Gruppen aufgeteilt und von dem deutschen Stammpersonal in große Unterkunftsräume geführt. Der Fußboden ist mit Stroh bedeckt. Nur einige schmale Gänge sind frei. Es ist altes, eingedrücktes Stroh, auf dem schon viele gelegen haben. Es riecht muffig und ist in kleine Stücke zerbrochen.
Durst plagt mich! Mein Körper ist völlig ausgetrocknet, ich habe seit Tagen nichts getrunken. Die Lippen sind geschwollen und aufgesprungen. Die Zunge fühlt sich taub an, Mund und Kehle sind trocken. Ich begebe mich auf die Suche nach Wasser und gelange in einen Hinterhof. Mir gegenüber sehe ich Türen und Fenster in ein dickes Mauerwerk eingelassen. Es ist die etliche Meter tiefe Wehrmauer der Festung. In dieser sind Waschräume und Toiletten untergebracht. Es sind schon einige Männer hier, die auch Wasser suchen. Aber es gibt keins. Die Wasserleitung ist abgestellt. Die Landser schimpfen und fluchen. Im Hof, an das Mauerwerk der Rückwand des Hauptgebäudes angelehnt, sehe ich ein großes, betoniertes Becken. Es ist ein Wasserbecken zum Feuerschutz. Oben am Beckenrand steht einer von uns ganz entblößt. Mit einem Kopfsprung springt er in das mit Wasser gefüllte Löschbecken. Wasser! denke ich und gehe sofort dorthin, doch das Wasser im Becken ist alt und grün. Es eignet sich nicht zum Trinken. Egal, ich nehme trotzdem eine handvoll aus dem Becken, benetze Lippen und Mund, und spucke es wieder aus. Es war der größte Fehler in meinem bisherigen Leben, wie sich bald herausstellen wird.
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